Ein Besuch bei Christin Zielinski
Wir teilen beide die Leidenschaft für das Tanzen – Salsa. Wie lange es bei mir jedoch her ist, dass ich mich dem wieder einmal hingegeben habe? Beinahe erinnere ich mich nicht. Ich merke auf und stelle fest, dass ich gedankenversunken in meiner Tasse Kaffee verschwunden war. Ich schaue hoch und mein Blick wandert über einen eleganten hellen Blazer, über auffällig großen Ohrschmuck in Form von Erdbeeren bis zu ihrem schwarzen lockigen Haar. Interessiert und freundlich schaut sie mir durch ihre Brille entgegen und mir ist entgangen, dass sie mich wohl etwas gefragt hat. Weshalb ich meine Augenbrauen so wenig betonte? Dazu fällt mir keine wirklich schlaue Antwort ein – mir hatte es bisher immer so gefallen. Kurzerhand greift Christin in ihren Schminkkoffer, stellt sich vor mich und beginnt mit der Behandlung meiner Brauen. Sie hat eine starke Meinung und hatte mir bereits vor unserem Treffen auf charmante Art vermittelt, dass sie sich gern meine Schmink-Routine anhörte, ich aber mit Gegenwind aufgrund ihrer Expertise zu rechnen hätte. Ein paar Handgriffe später reicht sie mir einen Handspiegel und verdeckt erst die eine und dann die andere Hälfte meines Gesichts. Die nun viel stärker akzentuierten linken Augenbrauen wirken auf den ersten Blick ungewohnt, aber doch ausdrucksstark und überraschend natürlich. „Ich schminke Frauen, keine Mädchen“, sagt Christin. Dabei fühle ich mich keineswegs stark geschminkt.
Christin schafft es, das zu vermitteln, was sie an ihren Kundinnen sehen möchte. Selbstbewusstsein. Wir erzählen über Gott und die Welt und ich merke mit der Zeit, wie ich beinahe vertraut mit ihre rede, als sei sie eine langjährige Freundin. Sie vertritt feste Standpunkte, sowohl persönlich als auch hinsichtlich ihrer Visagistik. Zwar habe ich zu keiner Zeit das Gefühl, nicht das letzte Wort zu haben, während sie mich weiter schminkt, aber als wir auf das Thema Reisen zu sprechen kommen überraschen mich ihre Aussagen an diesem Punkt bereits weit weniger. Nicht nur, dass sie Paragliding betreibt und bevorzugt die abgeschiedene Natur Norwegens genießt, verfügt sie obendrein über einen Tauchschein. In gewisser Weise scheint das sinnbildlich für ihren Weg zur Kosmetik zu stehen. Eintönigkeit, Routine oder eingefahrene Blickwinkel sind nicht die Attribute, mit denen ich Christin beschreiben würde. Sie muss Neues probieren, selbst wenn es bedeutet, den Weg über eine Bankenlehre und Jobs in der Versicherungsbranche zu gehen. So sei sie gewissermaßen in die Kosmetik „hineingestolpert“, habe ihren eigenen Stil entwickelt und gefunden. Dass es in der Branche nicht jedem Gefalle, dass sie über eine Handschrift verfügt, kann ich nicht beurteilen, als ich mich erneut im Spiegel betrachte. Ich bin zufrieden mit meinem frischeren Look. Doch Christin bessert noch einmal nach, da sie einen Schatten entdeckt hat, der ihr nicht behagt.
Sie nimmt sich Zeit für mich – eine Frau, „die schon länger jung ist“, wie sie schmunzelnd sagt. Mittlerweile kann ich das alles genießen und danke meiner Tochter innerlich für diese Auszeit, die sie mir geschenkt hat. Christin mag ihr Handwerk ganz offensichtlich und strahlt absolute Überzeugung in jedem ihrer Handgriffe aus. Sie erzählt mir, dass sie Chemnitz gern schöner machen würde. Dabei meint sie jedoch nicht die Verfolgung eines Ideals aus Hochglanzmagazinen, sondern vielmehr eine natürliche Schönheit, die von innen kommt und mit Überzeugung nach außen getragen wird. Dass ich mit meiner sehr markant gewachsenen Nase einigermaßen unzufrieden bin, kontert Christin damit, dass sie Besonderheiten mag. Ungeachtet dessen ist sie der Meinung, dass jede Frau hübsch sei und zeigt sich dabei fast betrübt darüber, dass nach ihrer Auffassung zu wenige Frauen, dies mit einem gekonnten Make-Up zeigten. Anspruch ihrer Arbeit sei es, Frauen, aber auch Männer, harmonisch zu schminken und dabei fällt immer wieder das Wort „Symmetrie“. Nun wird mir klarer, was ihre Handschrift ausmacht. Es scheint ihr dabei jedoch nicht nur um den handwerklichen Aspekt zu gehen. Das wird spätestens deutlich, als wir auf das Thema Mode zu sprechen kommen. Christin hat ein Auge für Farben und sie hat die erstaunliche Gabe, mit wenigen prüfenden Blicken, wesentliche optische Merkmale zu erfassen und daraus nicht nur ein Styling, sondern auch persönliche Züge eines Menschen abzuleiten. Ich fühle mich tatsächlich etwas ertappt. Aber genau das macht ihren ganzheitlichen Ansatz von Visagistik, Kosmetik und Ernährung wohl aus. Als Christin ihr Köfferchen sorgfältig einsortiert, nehme ich mein Spiegelbild noch einmal auf ganze andere Weise wahr. Und heute Abend gehe ich tanzen: Salsa.